Was man sich schenken sollte

Hin und wieder entdeckt man im Nachtprogramm der diversen Musiksender mal eine kleine Perle, die nicht in die tagsüber vorherrschenden Klingeltonwerbesendungen passt. Aber es geht auch andersherum, wie ich vor einigen Wochen erleben durfte, als mir plötzlich der Wahnsinnsreim Albtraum – Ich wache auf und finde Halt kaum trotz lediglich halben Hinhörens zwei Zehennägel aufrollte. Die für selbigen Song verantwortliche Band trägt den schönen Namen Nachtwandler und wollte ihn auch optisch streng nach Klischeehandbuch umsetzen, welches unter dem Stichwort Wie stelle ich einen Albtraum dar den Eintrag: ich lasse eine weißgekleidete Tussi gehetzt durch den Wald rennen anbietet. Nur schade, dass die drei Herren zwischendurch musizierend eingeblendet werden. Es passt nämlich irgendwie nicht so ganz zu einer düsteren Gothic-Atmosphäre, wenn drei Sparkassen-Azubis, die so aussehen, als ob sie gerade noch an der Straßenecke vorbeiwatschelnden Omis Zitronenlimo verkauft haben, angestrengt versuchen, ernsthaft oder gar “evil” auszusehen. Andererseits passt dieser visuelle Totalschaden bestens zum musikalischen Rest.

Nachtwandler haben sich vorgenommen, anspruchsvolle deutsche Texte mit Rap und Nu-Metal zu verbinden und scheitern in allen drei Bereichen derart glorios, dass es schon wieder unglaublich lustig ist. Im Gedichtband zum Album “Zurück in den Wald” gibt es nicht nur die für sich selbst sprechenden Lyrics wie:

Ich sah immerzu nach vorne, komme was wolle
Fühlte mich oft genug beschissen nur wegen dir Olle
Ertrug auch düstere Tage, um nicht von den Nächten zu sprechen
Und irgendwann begann ich dann mit dunklen Mächten zu sprechen
Da gibt’s ein paar Dinge, die du über mich wissen solltest Babe
Du hast immerzu geredet, ich nicht gerafft, was du wolltest Babe
Jetzt steh ich am Ende eines langen Flurs mit nur einer Tür
Mit den ganzen verfuckten Dämonen, die du riefst, hinter mir

und

Wir waren wie Sonne und Mond, wie die Wolken und der scheiß Wind
Unglaublich vertraut und wir verstanden uns meist blind
Seitdem ich überhaupt Mädchen kenne, kenne ich dich Babe
Wir waren gegen alles und tranken alle untern Tisch Babe

sondern auch noch Linernotes, die den geneigten Leser mit kosmischen Wahrheiten erleuchten: WIR SOLLTEN ALLE VERSUCHEN UNS VON ANGST ZU BEFREIEN. SONST BEHERRSCHT SIE UNS UND MACHT UNS KAPUTT oder ALBTRÄUME SIND SCHLIMM UND HABEN NICHTS MIT DEN ALPEN ZU TUN, SONDERN MIT NACHTMAHREN, NACHTALBEN – GEISTERN, DIE EINEN IM SCHLAF HEIMSUCHEN sowie SICH ERINNERN IST OFT SCHMERZHAFT, WEIL DIE WELT SICH WEITERGEDREHT UND VERÄNDERT HAT. NICHTS IST FÜR DIE EWIGKEIT. NICHTS BLEIBT WIE ES WAR.

Und wer jetzt schon nicht vor Lachen unter dem Tisch liegt, dem gibt die Musik den Rest. Obwohl ich mich nicht direkt für einen Rap-Experten halte, erlaube ich mir das Urteil, dass keiner der Herren auch nur im Ansatz Talent dazu hat. Das Gute ist, dass man durch Gestalten wie Oli P. (der sich, wie ich glaube, seiner Unzulänglichkeiten aber durchaus bewusst ist) oder eben die diesen eigentlich noch unterbietenden Nachtwandler auch ohne Insider-Kenntnisse merkt, dass es erhebliche Unterschiede zwischen “richtigem” Rap und vorliegendem Quark gibt. Aber damit nicht genug, man versucht sich auch durch Verwendung “harter” Gitarrenriffs als Linkin-Park-Kopie, was aber nicht zuletzt deswegen in die Hose geht, weil alles derart nach Muster 08/15 gestrickt und völlig zahm ist, dass es schmerzt. Wenn das Metal ist, kann Jeanette Biedermann bald bei Napalm Death einsteigen.
Ich bin ja wirklich gespannt, wie erfolgreich dieses Projekt, das dermaßen kalkuliert und
gleichzeitig mies Pseudo-Gothic/Metal/Rap mixt, sein wird. Wenn wenigstens die Tussi im Video hübsch gewesen wäre…

Kommentar

  1. # - de pollo schrieb am 21. Dezember 2004, 13:24:

    Was hast du denn gegen den Text, du als Bergmensch müsstest doch wissen wie Scheisse Wind ist. :D





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