Sarah Wiener und der Veganismus

Auf FocusOnline erschien gestern (29.10.2015) eine abstruse redaktionelle Zusammenfassung des Auftritts von Sarah Wiener bei Markus Lanz vom 20.10.2015. Auf den Clickbait-Artikel auf FocusOnline, der in der journalistischen Qualität zwischen heftig.co und Zentrum der Gesundheit liegt, möchte ich gar nicht näher eingehen. Allerdings stoßen die Aussagen Sarah Wieners zum Veganismus bitter auf.

Einer der Gründe dafür liegt darin, dass sie denselben halbgaren Unsinn wiederholt, den Jan Hegenberg aka der Graslutscher schon in seinem wunderbaren Veriss entkräftet hat. Auf einige andere Lücken versuche ich im Näheren einzugehen.

Die Künstlichkeit einer »Sojamilch« im Angesicht des Joghurts

Sarah Wiener ist ein Verfechter von Bio-Lebensmitteln und deren natürliche Zubereitung. »Schwerst verarbeitete« Lebensmittel sind ihr ein Graus. Soweit so edel. Ganz besonders reibt sie sich an »Sojamilch«, die sie in der Künstlichkeit einer Cola gleichstellt. Mit dem ganzen Zucker, Emulgatoren, Konservierungsstoffen etc. Ich lese mal die Zutaten der »Sojamilch« vor, die ich mir eben ins Müsli gegossen habe: Wasser, geschälte Sojabohnen, roher Rohrzucker, Meersalz (Zucker in einem Anteil von 2,3g auf 100ml). Soviel also zur »Künstlichkeit«. Natürlich gibt es auch Veganer die gar kein Soja mögen, das sind gar nicht einmal so wenige. Die bevorzugen dann zum Beispiel »Milch« auf Basis von Mandeln, Kokos, Reis oder Hafer.

Ich möchte gar nicht bestreiten, dass es »schwerst verarbeitete« vegane Lebensmittel gibt; ja sogar »Sojamilch« mit Zucker, Aromen und Stabilisatoren, also ähnlichen Zusatzstoffen wie ein gewöhnlicher Joghurt. Warum jedoch Sarah Wiener in ihrem Kampf gegen verarbeitete Lebensmittel sich gerade ausgerechnet die handvoll veganen Produkte für die 0,5% Veganer heraus sucht, wo doch im Supermarkt mindestens drei Regalreihen voll mit Convenience-Lebensmitteln für die restlichen 99,5% der Bevölkerung gedacht sind, ist mir noch ein Rätsel. Man käme auf den Gedanken, es wäre Methode, wenn sie nicht immer die »Natürlichkeit« so hervorheben würde. Das bringt mich auch schon zum nächsten Punkt.

Der naturalistische Fehlschluss und die Grenzen der Natürlichkeit

Für Sarah Wiener ist nämlich klar, »dass wir als Teil der Natur natürlich essen müssen« und vegane Ernährung eine Mangelernährung ist, weil man Vitamin B12 supplementieren muss.

Dass eine irgendwie geartete »Natürlichkeit« immer mit »gut« oder »besser« als Nicht-Natürlichkeit sein muss, nennt man auch Naturalistischer Fehlschluss. Der Bezug zu einer proklamiert guten Natürlichkeit hat auch noch einen anderen Haken. Worin genau liegt denn die Natürlichkeit oder Unnatürlichkeit bei Lebensmitteln? Wo zieht man denn die Grenze?

Ist eine gehärtete Masse aus Fett, Wasser und Stärke (Analogkäse) unnatürlich? Ist eine Fermentation im industriellen Maßstab unnatürlicher und schlechter als z. B. zu Hause oder im Kleinbetrieb? Ist es unnatürlich und schlechter, wenn biologische Vorgänge im Labor oder Industrie nachgeahmt werden? Inwieweit ist es natürlich Pflanzenbestandteile mikrobiell im industriellen Maßstab umzuwandeln um daraus z. B. Bier machen? Kann man von Natürlichkeit sprechen, wenn in München frische Heringe bekommt? Hat die Natur ja eigentlich nicht für Bayern vorgesehen.

Zur Verdeutlichung hier die natürlichen Inhaltsstoffe eine handelsüblichen Apfels:
Wasser, pflanzliche Öle, Zucker, Stärke, Carotine, Tocopherol (E306), Riboflavin (E101), Nicotinamid, Pantothensäure, Stearinsäure (E570), Ölsäure, Linolsäure, Apfelsäure (E269), Oxalsäure, Salicylsäure, Purine, Natrium, Kalium, Mangan, Eisen, Kupfer, Zink, Phosphor, Chloride, Farbstoffe, Antioxidantien.

Wenn man sagt, Veganismus ist unnatürlich und eine Mangelernährung wegen des zu supplementierenden B12, muss man im gleichen Atemzug sagen, dass ein Leben nördlich des 40. Breitengrad (also alles nördlich von z. B. Madrid, Rom, Istanbul) ebenso unnatürlich ist. Denn der gewöhnliche Europäer neigt – vor allem in den Wintermonaten – zu einem ausgeprägtem Vitamin-D-Defizit. Eine Supplementierung von Vitamin D wird durch die Bank (u. a. WHO, DGE) empfohlen bzw. wird Vitamin D sogar in einigen Ländern der Milch zugesetzt.
Aber Nordeuropa als unnatürlichen Lebensraum zu bezeichnen und deswegen nach Süden zu ziehen, macht auch ja keiner ernsthaft. Warum dann beim Veganismus?

Nur ein totes Tier ist ein gutes Tier

Zuletzt wird der Auftritt bei Markus Lanz noch mit diesem »zitierfähigem« Satz gekrönt.

Den Tod abschaffen, hieße das Leben abschaffen.

Nach Sarah Wieners Logik, ist nämlich nur das gequälte Tier der eigentliche Kritikpunkt. Das massenweise Töten von Lebewesen ist nicht nur nicht schlimm, nein, es ist quasi eine Notwendigkeit für das Leben. Da wird sich aber das kleine männliche Küken freuen, gelebt haben zu dürfen bevor es sich mit voller Inbrunst in den Schredder wirft. Auch sehe ich schon die Hochleistungsmilchkühe jubelnd Ballett tanzen bevor sie nach einem erfüllten 5-7 jährigen Leben endlich zu Tierfutter verarbeitet werden dürfen.

Denn es gilt: Nur ein totes Tier war ein gelebtes Tier.

Ich weiß nicht, warum sich Sarah Wiener gerade so auf den Veganismus einschießt. Vor allem mit ihrem Anliegen für gesunde Ernährung und ihrem den Kampf gegen Massentierhaltung ist doch der Veganismus kein Feindbild. Das wäre ja so als wenn man den globale CO²-Ausstoß kritisiert und dabei die Jogger ins Visier nimmt, weil eine erhöhte sportliche Betätigung einen erhöhten CO²-Ausstoß zur Folge hat.
Mit ihrem öffentlichen Impact und der Gegenrede gegen den Veganismus erreicht sie zur Zeit genau das Gegenteil: Nämlich die Zementierung des Status Quo.

TL;DR

Sarah Wiener will Tiere töten.

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