Günther Becksteins großer Tag

Heute berät der Bundesrat über den “Killerspiel”-Gesetzentwurf Bayerns. Der Begriff “Killerspiel” scheint inzwischen trotz der Tatsache, dass er gemessen am Inhalt der Spiele unzutreffend ist, derart objektiviert worden zu sein, dass er als offizielle Genrebezeichnung auftritt. Dies ist eine logische Folge der von den Kritikern verfolgten Strategie, diese Spiele und Filme als erstes moralisch-ethisch zu diskreditieren. Jeder prominente Gegner macht dies in nahezu jedem Statement klar; es handelt sich um Dreck und Schmutz, eine Gesellschaft, die dies nicht verbietet, ist “krank”. Die Gefährlichkeit wird auf diese Art und Weise bereits vor jeglicher Präsentation wissenschaftlicher Daten “nachgewiesen” und daher genügt es, wenn Täter derartige Medien besaßen, um diese als Ursache zu identifizieren. Dass die entsprechenden Studien wesentlich komplexere und auch widersprüchliche Ergebnisse vorweisen, die im Übrigen nie kriminelle Gewaltausübung untersucht haben (genau diese steht aber im Zentrum der Debatten), kann man hierbei dann ignorieren.

Psychologisch ist dies so geschickt und öffentlichkeitswirksam, dass selbst Verteidiger es groteskerweise anerkennen. So hat der Deutsche Kulturrat zwar dankenswerterweise Videospiele verbal unter den Schutz der Kunstfreiheit gestellt, gleichzeitig aber auch deutlich gemacht, dass es sich hier um Geschmacklosigkeiten und Schund minderer Qualität handele.

Aber das nur am Rande, ich möchte die prinzipiellen Argumentationsmuster in einer längeren Abhandlung demnächst gesondert untersuchen. Eigentlich geht es hier nur um folgende Äußerung von G. Beckstein, welche die Gefährlichkeit der Computerspiele belegen soll und gleichzeitig ein generelles Verbot als einzigen Ausweg anpreist:

Allerdings sehe ich in der Kriminalstatistik, dass die häufigste Problematik bei 18- bis 25-Jährigen liegt, und da hilft mir der Jugendschutz nichts. Da brauche ich ein Verbot.

Auch hier ist die Frage, inwieweit Medien an den kriminellen Handlungen ursächlich beteiligt sind, bereits positiv beantwortet. Die Behauptung ist aber vor allem aus einem anderen Grund irreführend, um nicht zu sagen verlogen: dass Menschen (v.a. Männer) in dieser Altergruppe besonders häufig straffällig sind, ist ein historisch und kulturell universelles Phänomen, seit es Kriminalstatistiken gibt (Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht der Bundesregierung, Langfassung, S. 357)!
Diese Häufung der Delinquienz im fraglichen Alter existiert also seit mindestens 100 Jahren und zwar global. Beckstein schießt sich mit dem Verweis auf diese statistischen Daten also geradezu vorbildlich selbst ins Bein (Disclaimer für die BPjS: aus diesem würde natürlich, wenn überhaupt, nur grünes Blut fließen): wenn diese Häufung schon lange vor der Existenz der fraglichen Medien existierte, muss sie mit ziemlicher Sicherheit andere Gründe haben.

short rant

Von der Sache mit den Gesichtserkennungssystemem kann man ja halten was man will.

Rein technisch gesehen hab’ ich da ja ernste Bedenken, solange die Personaleinspargetränkebehälterrückgabeautomaten nicht mal ‘nen billigen Barcode erkennen können und die Flaschen dutzendweise zurückweisen.

Ich finde die Rückgabeprozedur des Mehrwegsystems mittlerweile so daneben, dass ich nur noch Einweg kaufe – also speziell den Krams, wo kein sichtbarer Pfand drauf ist. Das kann man wenigstens vernünftig wegschmeißen. Mit Vorliebe in normalen Hausmüll respektive auf die Straße oder Kreuzung vor Burgerking oder McDonnalds. Da fällt’s auch nicht so auf.

Das Märchen von den magischen drei Punkten

Die Beschäftigung mit den Randgebieten der Pseudo- und Alternativwissenschaften birgt für den Historiker den Vorteil einer Unzahl von Beispielen für gefälschte oder manipulierte Quellen. Viele sind exemplarisch dafür, wie man NICHT arbeiten sollte. Es sei denn, man möchte – wie in diesen Bereichen natürlich der Fall – seine Sichtweisen auf Biegen und Brechen “beweisen” und findet ein entsprechend vorgeschädigtes Publikum. Besonders gern verwendet der Crank (respektive Psychopath) “offizielle” Quellen, obwohl er sonst mit größter Vehemenz gegen alles Offizielle kämpft, es in der Regel sogar genügt, entsprechende Aussagen, die nicht ins eigene Konzept passen, als Mainstream zu bezeichnen um es in den Augen der bewundernden Anhänger zu diskreditieren.

Die Logik scheint einfach: wenn sogar die Mainstream-Quellen mich bestätigen, muss die Faktenlage ja nun wohl völlig eindeutig FÜR mich sprechen. Deswegen zitieren Antisemiten Juden, Holocaustleugner bekannte Historiker, Leugner der Realitivitätstheroie Einstein und Kryptohistoriker durchaus auch aus Original-Quellen. Allerdings kann man eben auch wörtlich korrekt zitieren und trotzdem den Sinn und Kontext einer Aussage komplett verfälschen.

Ein “schönes” Beispiel enthält die Patientenerklärung einer deutschen Impfgegnergruppe. Letztere ist relativ eng verbandelt mit der Germanischen Neuen Medizin des R.G. Hamer, die soeben ein erneutes sinnloses Todesopfer in Italien gefordert hat.
Diese Erklärung enthält einen Bezug auf einen Artikel von Sieghart Dittmann über Impfrisiken (Bundesgesundheitsbl – Gesundheitsforsch – Gesundheitsschutz
2002 · 45:316–322). Dass dieser ehemals stellvertretender Vorsitzender der Ständigen Impfkommission war, wird noch einmal deutlich hervorgehoben. Das Autoritäts-Argument funktioniert nämlich durchaus, solange es FÜR den Pseudowissenschaftler spricht.

Der zitierte Abschnitt erweckt nun den Eindruck, als gäbe es quasi keinerlei gesichertes Wissen darüber, ob Impfungen wirklich helfen und wie riskant sie eventuell sein können. Genau dies wird dann unter Punkt 3 auch geschlussfolgert:

Aufgrund dieser Veröffentlichung ist die Nutzen-Risiko-Abwägung für die o.g. Schutzimpfung für mich / uns nicht möglich, so dass ich / wir keine rechtswirksame Einwilligung für die o.g. Schutzimpfung geben.

Man müsste den zitierten Artikel allerdings gar nicht sehr weit lesen, um genau diese Abwägung thematisiert zu sehen. Nämlich genau bis zum Titel. Dieser lautet: “Risiko des Impfens
und das noch größere Risiko, nicht geimpft zu sein”. Dadurch, dass man u.a. einige Sätze auslässt, genauer:

...Es ist durchaus möglich, dass diese meist als Einzelfall (Kasuistik) berichteten möglichen Komplikationen eher zufällig in zeitlicher Koinzidenz mit der Impfung auftraten. Zwei Drittel der von den Expertenkomitees des Instituts für Medizin der US-amerikanischen Akademie der Wissenschaften analysierten möglichen Komplikationen nach Schutzimpfungen des Kindesalters konnten ursächlich weder zugeordnet noch ausgeschlossen werden.

werden dem Leser wichtige Informationen vorenthalten.

Im Kontext wird klar, dass einerseits die Fallzahlen sehr gering sind (was für die Risiko-Nutzen-Abwägung eigentlich sehr wichtig wäre) und es andererseits einige Unterschiede zwischen modernen westlichen Staaten und Entwicklungsländern gibt, was die Kontrolle einer Impfkampagne, das Verständnis der Zusammenhänge und die entsprechenden Rückmeldungen betrifft. Daraus entstehen die benannten Unsicherheiten bezüglich der gemeldeten Impfschäden, NICHT des Erfolges der Impfungen. Grundsätzlich gibt es keinerlei Zweifel an der Effizienz von Impfungen, ohne dass Risiken von Impfschäden 100%ig ausgeschlossen werden können, allerdings sind die Risiken im Vergleich zur Schutzwirkung so gering, dass es bei halbwegs vernünftiger Betrachtung überhaupt keine Frage sein DARF, wie die entsprechende Analyse ausfällt.

In vorderster Front

Eigentlich wollte ich pflichtgemäß auf die neuesten Becksteinschen “Erkenntnisse” zum Thema Computerspiele, die er unter direktem Bezug auf den Doppelmord von Tessin medienwirksam parallel zu einer Debatte des EU-Ministerrates zum Verbot von Videospielen der Öffentlichkeit mitteilte, hinweisen. Er behauptete, dass der Mord “exakt nach dem Drehbuch eines Killerspiels” abgelaufen wäre.
Gerade von Juristen sollte man eigentlich erwarten, dass sie sich erst zu Themen und speziell Straftaten äußern, wenn sie die entsprechenden Hintergründe kennen. Und zwar aus dem Munde bzw. der Feder der Ermittler. Ausnahmen sind aber natürlich Berichte der BILD-Zeitung, dem deutschen Zentralorgan für faktengesättigte und objektive Berichterstattung, die einen Zusammenhang zum Computerspiel “Final Fantasy VII” herstellte. Ich schenke mir den Kommentar und verlinke faulerweise lieber auf einen Artikel von Demonews, der die wichtigsten Merkwürdigkeiten thematisiert.

Stattdessen noch einige Worte zu einer im weiteren Sinne ähnlichen Angelegenheit. Anfang des Jahres nahm die deutsche Justizministerin Brigitte Zypries die deutsche EU-Ratspräsidentschaft zum Anlass, einen neuen Vorstoß zu europäischer Standardisierung bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus anzukündigen. Eine grundsätzlich sicher begrüßenswerte Idee, allerdings geht es auch darum, europaweit die Leugnung des Holocaust als Straftatbestand zu etablieren. Auch hier drängen sich deutsche Politiker also in den Vordergrund, wenn es um Einschränkungen bestimmter Freiheiten als einzig möglichem Mittel zur Bekämpfung bzw. Prävention geht. Dass Holocaustleugner widerliche Lügner sind, ist eine Sache, aber ich bezweifle (durchaus schweren Herzens) trotzdem zunehmen die Richtigkeit einer solchen Einschränkung der Meinungs- und Redefreiheit. Ihre Positionen und Behauptungen sind inakzeptabel – aber IMO aus sozialer und moralischer, nicht aus juristischer Sicht. Sie sollten in Schulen, Universitäten und in den Medien argumentativ bekämpft werden. Rechtsextreme Parteien profitieren sehr häufig von einer stellenweise durchaus diffusen Abneigung gegenüber dem politischen “Mainstream” (wahlweise blanker Dummheit) und diese Straftatbestände helfen ihnen dabei propagandistisch enorm.

Dank der neuen italienischen Regierung, die ihre frühere Blockadehaltung aufgibt, soll dies nun gelingen und auch endlich der Hitler-Wein verboten werden. Nun ist es also wohl rückblickend schon soweit, dass ausgerechnet Berlusconi als Verteidiger der Meinungsfreiheit gefeiert werden müsste…

Copy kills Logic Update

Am 20.12. wurde nun das Urteil im Prozess gegen den 19jährigen Steffe G. aus Debkau gefällt. Manfred Spitzer scheint meinen Befürchtungen gerecht geworden zu sein und hat einen Zusammenhang zwischen Videospiel und Tat behauptet, wobei der Gutachter der Gegenseite dieser Sicht nicht folgte. Das Gericht folgte dem dankenswerterweise und unterstrich, dass zwischen Spiel und Tat einige Zeit verstrich und dass der Angeklagte bereits früher, auch ohne entsprechende Einflüsse, gegen Menschen gewalttätig wurde.

Dass dies Herrn Spitzer von seinem Kreuzzug abbringt, ist allerdings nicht zu erwarten. Zumindest glaube ich aber jetzt, die Ursache für seine Behauptung, es gäbe in Spielen unterschiedlich stöhnende nackte Frauen, die von Decken hängen, gefunden zu haben. In einem Beitrag in “Nervenheilkunde 1/2005” zitiert Spitzer unter der äußerst objektiven Überschrift “Milliarden für Tötungstrainingssoftware” aus der Indizierungsbegründung der damaligen Bundesprüfstelle bwzüglich Duke Nukem:

“Das gnadenlose Abknallen nackter Frauen, die wehrlos an gefesselt an der Decke hängen, finde ich, gelinde gesagt, daneben.”

Dabei handelt es sich wiederum um ein Zitat von Monika Stoschek über das Spiel in PC Player 7/96, dem sich die Bundesprüfstelle anschloß. Es ließe sich einwenden, dass Duke Nukem ein eindeutig parodisierendes Setting besitzt, man keineswegs gezwungen ist, diese von den Aliens gefangenen Frauen zu erschießen und es im übrigen vergleichsweise unwahrscheinlich ist, dass man in Realität in eine entsprechende Situation kommt. Sicher ist zumindest, dass sich Herr Spitzer hier einfach noch ein paar Details dazuerfunden hat, weil er natürlich selbst Duke Nukem noch nie zu Gesicht bekam.

Und endlich habe ich nach langem Suchen wohl auch die Hintergründe der Tabasko-Studie gefunden! Der Mix dieser Drinks als Modell für Aggression, das ebenfalls bereits grundsätzlich kritisiert wird, ist offenbar mehrfach verwendet worden, allerdings habe ich bisher keine Studie entdeckt, die sich tatsächlich mit Video- oder Computerspielen vefasst hatte. Etwas weiter rezipiert wird nur eine Untersuchung, die 30 männlichen Testpersonen die Aufgabe stellt, entweder eine Pistole oder ein Kinderspiel auseinander- und zusammenzusetzen, wobei vor- und nachher ihre Testosteronwerte gemessn wurden. Außerdem gaben sie mehr als das dreifache an “Hot Sauce” in einen Dink für den nächsten Teilnehmer.

Grundsätzlich wird hier u.a. deutlich, warum Spitzers Behauptung, der Zusammenhang zwischen Spielen und Aggression sei ebenso nachgewiesen, wie der zwischen Rauchen und Lungenkrebs, zurückgewiesen werden muss. Sowohl Rauchen als auch Lungenkrebs sind klar definierbare und für alle Studien standardisierte Werte. Auf “gewalthaltige Spiele” und “Aggression” trifft dies in keinste Weise zu. In jeder Studie werden andere Spiele untersucht, deren Auswahl bereits oft kritisch zu sehen ist, da meist spannendere und langweiligere Spiele verglichen werden (bspw. Wolfenstein3D und Myst), der Gewaltgehalt also nicht der einzige Unterschied ist, man diesen demzufolge nicht als einzigen Grund für evtl. gemessene Unterschiede festsetzen kann. Ebenso disparat ist die Lage des Begriffes “Aggression”, gemessen werden so unterschiedliche Dinge wie Hautwiderstand/Herzschlag, Reaktionszeiten auf bestimmte Worte oder Bilder, Selbsteinschätzungen der eigenen Aggressivität, Antworten auf Fragebögen oder eben Drinks.

Spitzer und andere erwecken allerdings den Eindruck, als hätte man in den Studien die Dinge untersucht, die den Anstoß für die Debatten geben, nämlich reale Gewalttaten und kriminelle Akte wie in Emsdetten. Allein eine erhöhte Aggressionsbereitschaft, die im übrigen im Gegensatz zur Annahme, dass Spiele durch die Interaktivität “gefährlicher” als der Passivkonsum seien, UNTER der von Filmen liegt, beweist nicht deren Gefährlichkeit oder entscheidenden Einfluss, da sehr viele Dinge (Sport, Sex) ähnliche Wirkungen hervorrufen und es bisher keine aussagekräftigen Langzeitstudien zu dieser Frage gibt. Dass spannende Spiele, die den Konsumenten eine Stressituation aussetzen, denselben stärker oder anders beeinflussen als andere, ist im Grunde eine Binsenweisheit.

Einwände gegen das Design vieler Untersuchungen interessieren Spitzer, wie man in seinem Artikel sehen kann, genausowenig wie die Ergebnisse anderer Forscher oder eine kritische Überprüfung der eigenen Hypothesen. Stattdessen wird die Debatte ex cathedra für beendet erklärt und objektivere Ansichten und Forscher sind einfach von der “Tötungssoftwareindustrie” gekauft. Eine derartige, mit Halbwahrheiten, pseudowissenschaftlichen Immunisierungsstrategien und gar Verschwörungstheorien gespickte “Argumentationslinie” ist ein wissenschaftiches Armutszeugnis.

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